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Entziehung des elterlichen Sorgerechts

Die Entziehung des elterlichen Sorgerechts setzt eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls voraus; nur allgemeine Verhaltensauffälligkeiten des Kindes genügen nicht

Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 10. April 2019 – 9 UF 231/18

Das Brandenburgische Oberlandesgericht hatte über die (teilweise) Entziehung des Sorgerechts einer Mutter zu entscheiden. Hintergrund des Sorgerechtsverfahrens war, dass die Mutter die Umgangskontakte zwischen ihrem älteren Sohn und ihrem früheren Lebensgefährten abgelehnt hatte, woraufhin ihr vom zuständigen Familiengericht das Sorgerecht entzogen worden war. Zu Unrecht, wie das OLG entschied.

Noch vor der Geburt des älteren Sohnes hatten sich die Mutter und der Kindesvater getrennt. Jedoch hatte der damalige Lebensgefährte der Mutter seit der Geburt des älteren Sohnes regelmäßigen Umgang mit dem Kind. Auch nach dem Wechsel von Mutter und Sohn in eine Mutter-Kind-Einrichtung bestand weiterhin regelmäßiger Umgang zu dem Lebensgefährten. Schließlich wurde ein gemeinsamer Sohn der Mutter und ihres Lebensgefährten geboren. Kurz darauf trennten sich die Eltern, woraufhin der ältere Sohn nur noch wöchentlich stundenweisen Umgang zu dem Lebensgefährten hatte. Nachdem die (psychisch kranke) Mutter im Rahmen eines gerichtlichen Kinderschutzverfahrens schließlich einer Fremdunterbringung ihrer beiden Söhne zugestimmt hatte, hatte der Lebensgefährte nur noch 14-tägigen Umgang mit seinem, dem jüngeren Sohn. Einen Umgang zwischen ihrem älteren Sohn und dem Lebensgefährten lehnte die Mutter ab.

Das zuständige Jugendamt hielt dieses Verhalten für kindeswohlschädlich, weil der ältere Sohn eine wichtige Bezugsperson verliere und sich im Vergleich mit seinem Bruder zurückgesetzt fühle. Schließlich gestattete die Mutter einen Umgang alle drei Monate. Auf Antrag des Jugendamtes wurde der Mutter daraufhin das Sorgerecht gerichtlich entzogen.

Das OLG stellte klar, dass die Entziehung der elterlichen Sorge als Maßnahme gemäß § 1666 Abs. 1 BGB eine konkrete Kindeswohlgefährdung voraussetze. Eine solche Kindeswohlgefährdung liege nur dann vor, wenn eine gegenwärtige Gefahr festgestellt wird, die in einem solchen Maß vorhanden ist, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, wobei hinreichende Verdachtsmomente vorhanden sein müssen. Eine nur abstrakte Gefährdung genüge nicht. 

Wenngleich die familiären Gesamtumstände bei dem betroffenen Kind Spuren hinterlassen hätten und die weitere Entwicklung des Kindes schwierig sein könnte, sei eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls durch das Verhalten der Mutter hinsichtlich der Kontaktgestaltung mit dem neuen Lebensgefährten, nämlich im dreimonatigen Rhythmus, nicht feststellbar. Zwar wirke sich ein regelmäßiger Umgang mit engen Bezugspersonen im Allgemeinen positiv auf das Kindeswohl aus. Trotzdem sei zu berücksichtigen, dass es heutzutage nicht selten sei, dass ein Kind innerhalb kürzerer Zeit mehrere Lebenspartner der Mutter als Bezugspersonen erlebe. Insgesamt sei schon zweifelhaft, ob der Lebensgefährte überhaupt eine enge Bezugsperson für den älteren Sohn darstelle. Jedenfalls gebe es auch keinen Erfahrungssatz dafür, dass jeder Kontaktabbruch eine Kindeswohlgefährdung bedeuten würde. Außerdem frage der ältere Sohn nicht nach dem Lebensgefährten und zeige der auch keinen Leidensdruck, wenn er diesen nicht regelmäßig sehe. Wenngleich der ältere Sohn erhebliche Verhaltensauffälligkeiten zeige und die Umgangskontakte mit seiner Mutter reduziert worden seien, seien in der Gesamtschau aber keine konkreten Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung durch die Umgangsregelungen gegeben.